Auf dem Kirchhofe – Johannes Brahms
»Auf allen Gräbern fror das Wort: Gewesen.« Am 16. März 1945 erlebten die Menschen in Würzburg den Schrecken des verheerenden Bombenhagels. Tod, Schmerz und Trauer durchdrangen die Stadt, zerrissen Familien und trennten Liebende für immer – auch das fiktive Paar Laura und Hannes. 51 Jahre zuvor komponiert Johannes Brahms das Lied Auf dem Kirchhofe auf einen Text von Detlev von Liliencron: eine Friedhofsszene mit Reflexionen über Vergänglichkeit und den Verlust eines geliebten Menschen. Brahms zeichnet eine tiefgründige und expressive Stimmung. In Hell ist die Nacht durchlebt Laura diesen Prozess, während sie den Verlust ihres Geliebten Hannes verarbeitet.
Getragenes e-Moll und chromatische Harmonien beschwören Friedhofsandacht. Verminderte und übermäßigen Akkorde tragen dem Spannungsverhältnis von Liebe und Verlust, durch Krieg und Tod potenziert, Rechnung. Eine Mischung aus schrittweiser Bewegung und größeren Sprüngen in der Melodieführung schafft zugleich Intimität und Distanz – ähnlich der emotionalen Ambivalenz gegenüber einem verstorbenen Menschen: in Erinnerungen ist er nah, obwohl er nicht mehr da ist.
Die Klavierbegleitung dialogisiert mit der Gesangsstimme, ist nicht bloß Begleitung, sondern spiegelt ein inneres Zwiegespräch wider – zwischen Trauernder und Verstorbenem, zwischen Schmerz und Zuversicht der im Leben Zurückgelassenen. Die Musik gewährt tiefe Einblicke in die emotionale Zerrissenheit, die auch Laura fühlt, und die sie überwinden muss, um ihre Trauer zu bewältigen und weiterleben zu können.
Schuld und Vergebung stellen zentrale Momente des menschlichen Zusammenlebens, und auch der eigenen Trauerarbeit dar. Auch heute ist der Schrecken von Kriegen wieder allgegenwärtig. Doch es bleibt die Hoffnung auf Versöhnung – Versöhnung mit dem Tod, Versöhnung mit der Vergangenheit und Versöhnung mit der Zukunft. (Marie-Clair Nickel)