Hell ist die Nacht – doch so finster mancher Tag
Von Tamara Yasmin Quick
Schuld und Vergebung – dieses Begriffspaar spielt immer eine Rolle, wenn eine Gesellschaft von Rissen, Wunden und Narben gezeichnet ist, häufig durch politische, militärische, religiöse oder ideologische Konflikt-Situationen. Kriegs- und Krisenzeiten gehören zur Menschheitsgeschichte seit Anbeginn dazu – und das spüren wir deutlich in unserer Gegenwart. Politische Ideologien, auch Verblendungen und Machtmissbrauch, hängen an bestimmten Narrativen, an Bildern, die propagiert werden und die sich international wie soziologisch, politisch und historisch im stetigen Wandel befinden und ständig zwischen Aktionen, Reaktionen und Wechselbeziehungen bewegen. Eine Schwarz-Weiß-Zeichnung von ›schuldig‹ und ›unschuldig‹ auf globaler, wie auch auf individueller, zwischenmenschlicher Ebene kann es insbesondere in Kriegs- und Krisensituationen nicht geben. Vergebung muss auf allen Seiten, auf vielen verschiedenen Ebenen und über Grenzen von Raum und Zeit hinweg stattfinden. Vergebung ist an ein Aussöhnen mit der Geschichte, dem eigenen Schicksal, und an das Verstehen gebunden, dass ein hoffnungsvolles Weiterleben möglich ist.
Die musiktheatrale Installation Hell ist die Nacht ertastet Wunden, die so wie in Würzburg – ausgehend von der verheerenden Bombennacht des 16. März 1945 – überall dort die Seelen der Menschen prägen, wo Krieg und Terror herrschen. In den Räumlichkeiten der Kongregation der Schwestern des Erlösers, in deren Luftschutzkeller eine tiefe Narbe der Stadtgeschichte, -gesellschaft und auch der -architektur bis heute in den Mauern eingeschlossen ist, werden Lyrik von Künstler:innen des 20. Jahrhunderts mit historischen wie aktuellen Zeitzeugenberichten und Musikwerken aus vier Jahrhunderten zu einem sinnlichen Klangerlebnis collagiert: einem multiperspektivischen Stimmenmeer, in dem Vergangenheit, Gegenwart und wohl auch Zukunft der Menschheitsgeschichte widerhallen.
Werke von Mozart über Brahms, Schumann, Wagner, Brecht, Copland, Celan bis hin zu Eisler, Texte und Musiken aus dem kulturellen Erbe der Erlöserschwestern sowie Kompositionen der erst jüngst verstorbenen Komponistin Gloria Coates, die sich zeit ihres Lebens für interkulturellen Austausch engagiert hat, fächern durch Raum und Zeit bis in unsere Gegenwart hinein ein Kaleidoskop aus Perspektiven und Geschichten auf, welches die größten Menschheitsprobleme – Kriegstreiben, Intoleranz, Machtmissbrauch – im Spannungsfeld von Schuld und Vergebung thematisiert.
Die Werke der sogenannte Kahlschlag- oder auch Trümmerliteratur aus der Nachkriegszeit erlangen eine erschreckende Aktualität angesichts der weltpolitischen Lage in Osteuropa und im Nahen Osten. Paradigmatisch für diese Strömung steht Paul Celans Todesfuge (1944/45), die als Teil seines Bandes Mohn und Gedächtnis 1952 Bekanntheit erlangte. Einem anderen Gedicht aus diesem Band, dem weitaus weniger bekannten Wasser und Feuer, entleihen wir den Vers »Hell ist die Nacht« für den Titel unserer musiktheatralen Installation. Hinter diesem Paradoxon verbirgt sich nicht nur das ganz konkrete Bild einer lichterloh brennenden, nächtlichen Stadt, sondern auch ein unwirklich flackernder Ort: eine Hoffnung auf Erlösung, Aufarbeitung, Versöhnung, Frieden und auf eine verheißungsvolle Zukunft. Und doch steckt in diesem Stilmittel zugleich auch eine Unsicherheit, eine Traurigkeit. Denn es beschreibt durch die grundgegensätzlichen Worte eine Welt, die sich zusehends zur Utopie zu wandeln scheint. Celans Werke arbeiten durch verrätselte und mehrdeutige Symbole die Zeit des Nationalsozialismus auf, und doch wirken sie beeindruckend modern und überzeitlich, da sie die Fragilität des menschlichen Zusammenlebens offenlegen.
Ausgehend von Nachkriegswirren unbestimmter Zeit, erzählen wir in Hell ist die Nacht die Geschichte eines fiktiven Paares (Laura und Hannes) als Spurensuche, Erinnerungsreise und Aufarbeitung. Eine Geschichte, die für so viele stehen kann, an so vielen Orten der Erde. Die Zuschauer:innen bewegen sich dabei, ähnlich eines szenischen Wandelkonzerts, durch die Räumlichkeiten des Mutterhauskomplexes der Kongregation der Schwestern des Erlösers: durch den ehemaligen Speisesaal, die erhaltene historische Küche bis in den Luftschutzkeller, in welchem am 16. März 1945 rund 500 Schutzsuchende überlebten. Dieser Ort atmet Geschichte: Hier kulminieren die Erinnerungen der Würzburger Schreckensnacht durch Zeitzeugenberichte.
Der Abend will als ein Stück artifizieller Erinnerungskultur der Stadt Würzburg im Spiegel der Gegenwart und Weltpolitik ein Bewusstsein für die Fragilität unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens in Gegenwart und Zukunft schaffen und zum Gedenken, Nachdenken, Umdenken und zu Dialog und Austausch anregen, welche die ersten Schritte von Schuld hin zu Vergebung darstellen.