zurück zurück

Hanni Liang im Interview

Ein »Welt-Gestalten«, angestiftet durch Musik

Zum dritten Mal öffnet mitten in Würzburg M PopUp, der Raum für Mozart, und bietet im städtischen Alltag Gelegenheit zur Teilhabe und Interaktion. Unter dem Motto »StadtBegegnungen« kuratiert Hanni Liang – Pianistin, Hochschuldozentin, Konzertdesignerin und Zukunftsdenkerin – das Programm der vier PopUp-Wochen. Im Interview gibt sie Auskunft über ihre Arbeit, neue Beziehungen zwischen Spielenden und Hörenden und warum sie lieber kocht, als sich an einen gedeckten Tisch zu setzen.

MOZARTFEST
Hanni, was fasziniert Dich an Mozart?

HANNI LIANG
Mich fasziniert, dass er es in absolutistischer Zeit geschafft hat, politische und gesellschaftliche Aspekte so genial in seiner Musik zu verarbeiten, dass sie zwar getarnt, aber dennoch jedem verständlich waren. Gerade in seinen Opern bewundere ich diese »Verspiegelung« politischer Botschaften. Man denke nur an Die Entführung aus dem Serail oder Le nozze di Figaro. Diese getarnten Botschaften machen ihn und seine Musik auch heute noch hoch aktuell!

MOZARTFEST
Das heißt, Mozart kann auch heute ein Vorbild sein? Er selbst hat einmal sinngemäß von sich gesagt, er könne sich eigentlich nur in Tönen ausdrücken, er sei eben »ein Musikus«. Wie beschreibst Du Dich und Deine Profession?

HANNI LIANG
Das ist nicht leicht! Ich bin so vieles! Mutter von zwei fantastischen Kindern. Eine Pianistin, die es liebt, sich in die Tiefen der Werke und der Töne zu begeben. Aber egal was ich bin und mache: Ich hinterfrage meine Arbeit, meine Profession ständig. Und ich fordere mich selbst heraus! Etwa indem ich Konzerte entwickle, in denen ich nicht nur die Pianistin bin, sondern auch diejenige, die inszeniert, die Licht und Raum gestaltet. Und indem ich für das Publikum zugleich Performerin als auch Zuhörerin bin – diejenige, die in jeder und jedem kreatives Potenzial sieht. Meine Profession sehe ich darin, dieses Potenzial herauszukitzeln. Menschen zum Gestalten ihrer Lebenswelt anzuregen.

Und neben all dem bin ich einfach ein sehr lebensfroher und dankbarer Mensch ...

MOZARTFEST
... was jedem sofort auffällt, der mit Dir spricht, arbeitet, Dir zuhört! Was Du als Deine Profession umreißt, hatte vor einigen Jahren noch einen ganz anderen Charakter. Konzerte haben Dich rund um den Globus in die bedeutenden Konzerthallen geführt. Man liest, Du hast bis zu 50 Konzerte im Jahr gegeben. Warum hast Du dem zum großen Teil abgeschworen? Erreichst Du jetzt nicht eigentlich weniger Menschen, weil das, was Du tust, in kleinerem Rahmen stattfindet?

HANNI LIANG
Ich würde gar nicht sagen, dass es im kleineren Rahmen stattfindet – im Gegenteil. Nächstes Jahr spiele ich zum Beispiel im Konzerthaus Berlin ein Konzert, zu dem ich nicht einfach komme, spiele und gehe, mich also nicht »nur« auf die Werke konzentriere – was natürlich auch schon eine enorme Arbeit ist: Nein, bereits jetzt beginne ich, mich mit Ort und der Hörerschaft zu verbinden. Ich setze mich mit den unterschiedlichen Lebenssituationen, -wünschen, -hoffnungen, -ängsten auseinander und frage mich, wie ich die Menschen mit diesem Konzert anregen kann. Wie kann ich etwas auslösen? Wie lassen sich im Rahmen des Konzertes gesellschaftliche Strukturen hinterfragen?

MOZARTFEST
Also ein Konzert ganz klassisch im großen Rahmen, das aber die erstarrten Verhältnisse zwischen Publikum und Ausführenden aufbricht. Was treibt Dich an, Konzerte so zu begreifen?

HANNI LIANG
Dass man ganz anders miteinander in Beziehung tritt. Ein Freund von mir würde jetzt sagen, dass ich nicht mehr an einen gedeckten Tisch komme, sondern in die Küche gehe. Beides hat seinen Reiz, aber momentan überwiegt bei mir die Lust am gemeinsamen Kochen. Da sehe ich ganz viel Zukunft, ganz viel Gesellschaftliches. Ein »Welt-Gestalten« – wenn man es so nennen möchte –, das mit und durch Musik angestiftet werden kann. Genau das treibt mich an! Darum bin ich Musikerin.

MOZARTFEST
Schon im vergangenen Jahr hast Du im M PopUp, dem Raum für Mozart, eine Programmwoche gestaltet. Dieses Jahr kuratierst Du den gesamten M PopUp. Was reizt Dich an dieser Aufgabe?

HANNI LIANG
Dem Raum eine Seele zu geben! Das ist eine große Aufgabe. Und ich bin dankbar für das Vertrauen und die Möglichkeit diesen Freiraum zu verantworten. Denn in der Tat ist es das auch: eine Verantwortung. Ich trage die Verantwortung, dass all das, was ich mir für die vier Wochen wünsche und vorstelle, auch Wirklichkeit wird. Dass sich der Raum mit Würzburg verbinden kann und umgekehrt Würzburger:innen sich mit dem Raum verbinden können.

MOZARTFEST
Wie lässt sich das erreichen?

HANNI LIANG
Durch intensiven Kontakt bereits im Vorfeld. Zum Beispiel fragen wir schon vorab Würzburger:innen danach, was sie aktuell beschäftigt. Während der vier Mozartfest-Wochen werden die Antworten dann im M PopUp zu finden sein und es wird musikalische Reaktionen darauf geben. Darüber hinaus involvieren wir auch Initiativen und Institutionen aus Würzburg oder lauschen der Stadt Klänge ab, die wir anschließend in Szene setzen. Es wird das erste Mal für mich sein, dass ich über einen so langen Zeitraum kuratiere. Aber ich bin voller Vorfreude und sehr gespannt auf das Ergebnis.

MOZARTFEST
Hast Du eine Vorstellung, was das Ergebnis sein könnte? Steckst Du Dir überhaupt Ziele in Deiner Arbeit?

HANNI LIANG
Ja, schon, aber ich verstehe Ziele als Richtungen, deren Wege wandelbar und flexibel sind. Die Entwicklung von Konzerten ist immer sehr eigen und individuell an den Ort, die Menschen, den Raum angepasst. Das bringt zwangsläufig die Begegnung mit unvorhersehbaren Faktoren mit sich. Je nach Raum und Menschen gestalten sich viele verschiedene Wege und Herangehensweisen. Manchmal kann auch ein Gedankenblitz ein gefühlt bereits »fertiges« Konzept wieder komplett umschmeißen. Oder es zeigt sich, dass der vorgegebene Raum gar nicht hergibt, was man sich vorgestellt hat. Das erfordert Flexibilität. So wird es auch beim M PopUp sein, denn die Raumfrage kann erst sehr spät beantwortet werden. Das heißt, dass Programm und Konzertideen ohne Kenntnis des Raums entwickelt werden.

MOZARTFEST
Das klingt unwägbar. Wie stellst Du Dir den diesjährigen M PopUp vor?

HANNI LIANG
Als einen Ort, an dem Menschen in Begegnung kommen. Ein Ort, an dem sie ihre Geschichten erzählen und teilen können. Geschichten, bei denen jede für sich einzigartig und besonders ist. M PopUp ist also ein Ort, an dem viele Ichs zusammenkommen und im Gespräch herausfinden, welches Wir wir sein können. Die verbindende Kraft ist dabei die Musik. Das wünsche ich mir für den M PopUp 2023.

MOZARTFEST
Teil des PopUps werden auch Workshops zum sogenannten »Tandem-Projekt« des Mozartfestes sein, in dem Menschen unterschiedlicher Generationen mit dem Ziel des gemeinsamen Konzerterlebnisses aufeinandertreffen. Wie begegnest Du der Arbeit mit älteren und jüngeren Menschen? Siehst Du Unterschiede?

HANNI LIANG 
Dazu fällt mir spontan eine Begebenheit ein: Am Rande eines Konzertprojekts hat mir einmal eine ältere Person gesagt, dass die Zukunft für sie weniger relevant ist, da der Tod bald vor der Tür steht. Die Person sprach natürlich für sich selbst, ohne dabei Kinder oder Enkelkinder miteinzubeziehen. Denn andernfalls würde die Zukunft aus meiner Sicht selbstverständlich wieder relevant: Die Zukunft für nachfolgende Generation wird, kann und muss natürlich auch von Älteren mitgestaltet werden. Aber gehen wir mal rein von der Natur aus, dann kommen wir zu dem Unterschied, dass sich ältere Menschen wahrscheinlich mehr mit dem Lebensende beschäftigen als jüngere. Das ist eine rein persönliche Annahme, denn die Auseinandersetzung mit dem Tod betrifft schließlich jede:n von uns. Tatsächlich habe ich das aber sehr deutlich gespürt, als ich mit meinen Studierenden in München Konzerte im Hospiz gespielt habe. Gleichzeitig ist dieses Memento mori etwas zutiefst Menschliches und verbindet uns. Aber vor allem merke ich in meiner Arbeit, dass das Menschsein mit jeglichen emotionalen Aufs und Abs uns alle verbindet – völlig unabhängig von Alter, Herkunft etc.

MOZARTFEST
Einmal abgesehen vom Alter: Wer kommt überhaupt zu Konzerten, die Du kreierst? Hast Du den Eindruck, wirklich neues Publikum zu erreichen?

HANNI LIANG
Ja, den Eindruck habe ich auf jeden Fall. In vielen Fällen erlebe ich Menschen, die vorher wenig oder gar nicht mit klassischer Musik zu tun hatten, die aber durch die Begegnung mit Musik und die aktive Auseinandersetzung für sich etwas darin finden. Das bringt sie dazu, sich mit der Musik bzw. mit dem spezifischen Werk, das sie erlebt haben, identifizieren zu können. Gerade in den partizipativen Konzertprojekten beschäftigen sich die Teilnehmenden aus unterschiedlichen Hintergründen über eine längere Strecke mit einem Werk, sodass sie sich wirklich damit verbinden können. Wenn ich zu Festivals oder Konzerthäusern zurückkehre, kommen viele Menschen wieder in meine Konzerte, und ich freue mich, einige dann immer wieder im Publikum zu sehen. Das gibt mir ein sehr vertrautes Gefühl.

Ich habe aber den Eindruck, dass auch regelmäßige Konzertgänger:innen in meine Konzerte kommen, um neue Perspektiven auf das klassische Konzert und Musik überhaupt zu erfahren. Auf beiden Seiten sehe ich die Chancen, in der ganzen Debatte um die gesellschaftliche Sichtbarkeit oder den Stellenwert klassischer Musik eine Verbindung zum Hier und Heute zu schaffen – klassische Musik mehr im Jetzt zu kontextualisieren.

MOZARTFEST
Hat denn der klassische Konzertbetrieb in Deinen Augen überhaupt noch Relevanz oder muss sich grundsätzlich etwas ändern?

HANNI LIANG
Da knüpfe ich direkt an das vorher Gesagte an. Ich denke, dass sich einiges ändern muss und aber auch vieles bereits im Begriff ist, sich zu verändern. Es findet bei Festivals und Konzerthäusern aber auch Musikhochschulen ein Überprüfen, ein Hinterfragen des eigenen Tuns statt. Das kreiert neue Ansätze oder Konzertreihen, die das klassische Konzert multiperspektivisch fassen und klassische Musik in ganz andere Kontexte setzt und gesellschaftlich verankern. Ich möchte noch einmal besagten Freund zitieren, der sagt: »Es reicht einfach nicht mehr aus, an der Spitze zu sein und zu funkeln. Denn die Spitze fällt runter, wenn sie ihre Basis ignoriert und sich nicht auf sie bezieht.« Die Basis aber ist nichts anderes als unser Publikum, unsere Gesellschaft ...


Die Fragen stellte Ilona Schneider.