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Nils Mönkemeyer und William Youn im Gespräch mit Markus Thiel

»Es geht immer um Zwischenmenschliches «

Nils Mönkemeyer und William Youn prägen als Artistes étoiles die Mozartfest-Saison 2025. Markus Thiel hat mit beiden über unterschiedliche Facetten von Freundschaft, Mozart als Menschenfreund und ihre Pläne für Würzburg gesprochen.

MARKUS THIEL Kann man durch Töne Freunde werden?

NILS MÖNKEMEYER Natürlich.

WILLIAM YOUN Das finde ich auch. Ich komme gerade von einem Festival und bin dort Musikerinnen und Musikern begegnet, die ich noch nicht kannte. Ich kann nicht sagen, dass wir uns sofort perfekt verstanden haben. Aber dank der Musik bekam ich das Gefühl, dass ich sie nun viel besser oder länger kenne.


MARKUS THIEL Was macht dann die Musik, dass Freundschaften zu schließen bewusster und intensiver funktioniert?

WILLIAM YOUN Die Musik ist die reinste Kommunikation menschlicher Emotionen, noch vor dem verbalen Austausch. Man ist viel offener, wenn man musiziert.


MARKUS THIEL Kann man sich beim Musizieren mehr und anderes sagen als über den Austausch von Worten?

NILS MÖNKEMEYER Wenn man die Dinge, die man mit Musik sagt, mit Worten ausdrücken würde, bräuchte man dafür einen hohen Bekanntschaftsgrad – gerade weil es sich um sehr private Emotionen handelt. Musik setzt auf einer tieferen Ebene an. Wenn man zum Beispiel Kammermusik macht, entsteht untereinander eine ganz bestimmte Kommunikation. Man gibt sehr viele Informationen von sich preis, auch zum Beispiel, ob einem eine bestimmte Stelle schwer oder leicht fällt. Die Verbindung zum Publikum funktioniert aber noch einmal auf einer anderen Ebene.


MARKUS THIEL Gibt man beim Musizieren manchmal mehr preis, als man eigentlich wollte?

WILLIAM YOUN Darüber denkt man in diesem Moment eigentlich nicht nach. Wenn ich allerdings Stücke von Komponisten spiele, die ganz anders sind als ich, dann bin ich in gewisser Weise gezwungen, anders zu werden. Da entdecke ich Neues. Und bei Mozart – der ständig kommunizierte, für den das sogar etwas Systemisches war – denke ich an meine Kindheit zurück, in der ich mit großer Unbefangenheit auf die Bühne ging, fast wie ein unschuldiger Clown.


MARKUS THIEL »Freund Mozart« heißt es im Motto des Mozartfestes: Kann er zum Freund werden durch das Interpretieren seiner Werke?

WILLIAM YOUN Er ist mir nicht unbedingt in diesem Sinne nahe. Ich habe einen großen Respekt vor ihm. Seine Werke sind sehr heikel zu spielen. Ich habe daher immer das Gefühl, ich bin nicht gut genug für ihn.

NILS MÖNKEMEYER Aber seine Musik ist doch total menschlich.

WILLIAM YOUN Wenn ich sie innerlich durchgehe, finde ich sie auch genial. Ich kann mich gut mit ihr identifizieren. Aber ich empfinde ihm gegenüber Bewunderung, weniger Freundschaftsgefühle.

NILS MÖNKEMEYER Fairerweise muss man ja sagen, dass die Klavierstimmen in der Kammermusik deutlich schwieriger zu spielen sind als die Bratschenstimmen. Bei Mozart habe ich mehr als bei anderen Komponisten das Gefühl, dass die Stimmen miteinander in Kommunikation treten. Entscheidend ist, wie ein bestimmtes Motiv in meiner Stimme von ihm behandelt wird. Die Mittelstimmen bei Mozart sind extrem wichtig. Andere, auch große Komponisten, betrachten sie häufig als Füllmaterial.

WILLIAM YOUN Bei Mozart geht es immer um Dialoge, um Zwischenmenschliches, um viele Nuancen in der Kommunikation. Bei Schubert habe ich dagegen das Gefühl, dass es sich um einen musikalischen Dialog mit sich selbst handelt – den ich für mich entdecken kann. Bei Mozart bin ich eher Beobachter einer Welt, die er kreiert hat.


MARKUS THIEL Bekommt man eine Ahnung von Mozarts Charakter, wenn man seine Musik spielt?

NILS MÖNKEMEYER Er muss ein Menschenfreund gewesen sein. Selbst die Königin der Nacht hat eine menschliche Seite.

WILLIAM YOUN Ich glaube, er brauchte oft eine Bestätigung als Mensch. Er brauchte Menschen um sich. Deswegen hat er die ganze Zeit kommuniziert, ob über die Musik oder über Briefe. Beethoven wusste, wer er ist. Seine Musik ist leichter zu verstehen als die Mozarts. Bei Mozart gibt es viele pauschale Auffassungen seiner Musik: nett, ordentlich, eingängig. Dabei sind seine Werke ungeheuer vielschichtig und uneindeutig. Oft gibt es in seinen Phrasen ein Fragezeichen, und diese Phrase führt zu einer weiteren, ebenfalls mit einem Fragezeichen. Bei Beethoven gibt es von der musikalischen Architektur her Frage und Antwort.


MARKUS THIEL Aber es wird doch immer wieder darauf hingewiesen, dass es von Mozart kaum Skizzen gibt. Seine Musik war ›fertig‹ im Augenblick des Aufschreibens ...

NILS MÖNKEMEYER Der Prozess bei Mozart und Beethoven war ähnlich, das Aufschreiben begann bei Beethoven aber früher, so denke ich. William und ich hatten ein gemeinsames Projekt, bei dem wir Fragmente von Mozart gespielt haben. Und dabei stellten wir fest, dass bei Mozart das Fragment einfach etwas ist, was noch nicht ganz aufgeschrieben ist. Der ganze Ablauf ist eigentlich fertig für ihn, nur die ›Auffüllarbeit‹ sehen wir noch nicht in diesen Noten. Für ihn war sie allerdings im Kopf fertig. Die Skizze ist quasi schon das Bild.


MARKUS THIEL Gibt es Komponisten, mit denen Sie musikalisch nicht befreundet sein könnten?

WILLIAM YOUN Schostakowitsch. Ich bin Idealist in dem Sinne, dass ich in jedem Moment Schönheit finden kann. Ich könnte nie ganz aufgeben. Wir haben einmal die Schostakowitsch-Sonate gespielt, sein letztes Stück. Und im Grunde kann ich sie nicht spielen, weil ich das Ende nicht so sehen möchte wie er.


MARKUS THIEL Kann man musikalisch befreundet sein, ohne dass man den Mitstreiter auf dem Podium menschlich mag?

NILS MÖNKEMEYER Nun ja … Menschliche Distanz ist schon möglich. Aber wenn ich Antipathie spüre, hätte ich kein Interesse, mit diesem Menschen Musik zu machen. Ich habe allerdings einmal eines der großen, alten Streichquartette in einer Probe erlebt, während der sich die vier nur angegiftet haben. Und dann spielten sie ihr Konzert und waren ein Herz und eine Seele.

WILLIAM YOUN Wenn musikalisches und menschliches Einverständnis zusammentrifft, ist es natürlich am besten. Aber nehmen Sie Dirigenten der alten Schule, die menschlich vielleicht etwas schwierig waren und sind. Dafür hatten sie oft ein unglaubliches Charisma. Auf der Bühne ist ja das prinzipielle Ziel, gemeinsam Musik zu machen. Und dafür entwickelt man eine Professionalität, damit man miteinander umgehen kann.


MARKUS THIEL Worin besteht die Voraussetzung, auf der Bühne miteinander Musik zu machen?

WILLIAM YOUN Man muss gut darauf hören, was die Mitspielerinnen und Mitspieler ausdrücken möchten. Im Zweifelsfall wächst man ja auch zusammen. Als ich die erste Probe mit Sabine Meyer hatte, mussten wir uns auch erst finden. Jetzt spielen wir so viele Jahre zusammen, sodass wir bei jedem Konzert etwas anderes riskieren können. Es gibt eine hundertprozentige Sicherheit im Reagieren aufeinander.

NILS MÖNKEMEYER Wobei es schon so ist: Bevor man gemeinsam Kammermusik macht, sucht man sich die Menschen aus, mit denen emotional und musikalisch etwas ins Fließen und ins Schwingen geraten kann.


MARKUS THIEL Worin besteht für Sie überhaupt Freundschaft?

NILS MÖNKEMEYER Vertrauen ist wichtig.

WILLIAM YOUN Es ist eine Art Begleitung. Im Grunde ist jeder Mensch für sich allein. Und man sucht Menschen aus, die das Leben bereichern, indem sie es begleiten.


MARKUS THIEL Mozart hat in einem berühmten Brief an seinen Vater den Tod als »wahren, besten Freund des Menschen« bezeichnet. Weil er der »Endzweck unseres Lebens« sei. Wie fremd oder nah ist Ihnen dieser Gedanke?

WILLIAM YOUN Für mich ist der Tod auch eine Erleichterung. Die Vorstellung, dass es ein Ende gibt, erleichtert einfach.

NILS MÖNKEMEYER Vielleicht gab es zu Mozarts Zeiten eine andere, elementare Bedrohung, weil das Leben härter war. Seuchen, die gesundheitlichen Strapazen des Reisens, hohe Kindersterblichkeit, all das kann einem den Tod näherbringen. Die Endlichkeit des Lebens versuchen wir heute eher auszublenden. Damals hat man natürlicher damit gelebt. Abgesehen davon: Der Tod scheint zum Bratschenklang zu gehören. Es gibt viele letzte Werke von Komponisten, in denen die Bratsche eine große Rolle spielt. Dieser Klang öffnet eine Tür ins Jenseits.

WILLIAM YOUN Der Tod war und ist eben auch eine künstlerische Inspiration.

NILS MÖNKEMEYER Wir beide haben oft darüber gesprochen: Selbst wenn Mozart fröhlich zu sein scheint, schwingt immer eine andere Ebene mit. Gerade weil er so durchlässig ist, gibt es unendlich viele spürbare Nuancen zwischen Fröhlichkeit und tiefer Trauer. Deshalb spiele ich Mozart so gern auf der Bratsche.


MARKUS THIEL »Aber durch Töne: Freund Mozart« lautet das Motto des Mozartfestes 2025. Wie spiegelt es sich in Ihren Programmen wider?

NILS MÖNKEMEYER Zum einen geht es darum, ein Programm so vielseitig wie möglich zu gestalten und Kombinationen unserer beiden Instrumente in verschiedenen Besetzungen vorzustellen. Das Motto der Freundschaft zieht sich zum anderen durch alle Programme: etwa über die Auswahl der Kammermusikpartnerinnen und -partner, die wir eingeladen haben. Aber es steckt auch in konkreten Werken, die wir interpretieren, und äußert sich z. B. durch die Kommunikation der einzelnen Stimmen miteinander. Nehmen wir zum Beispiel Werke wie das Kegelstatt-Trio – ein Stück, das Mozart dezidiert für Kammermusik unter Freunden geschrieben hat. Das war auch unser Leitgedanke.


MARKUS THIEL Gleich im Eröffnungskonzert spielen Sie gemeinsam ein neues Konzert, Trame lunari, das Manfred Trojahn auf Ihren Wunsch für Viola, Klavier und Kammerorchester komponiert hat. Eine ungewöhnliche Besetzung ...

NILS MÖNKEMEYER Die Besetzung Viola, Klavier und Orchester ist in der Tat sehr ungewöhnlich. Bisher ist mir nur ein einziges Werk in dieser Besetzung bekannt, es stammt von einem Bach-Sohn. Deswegen freuen wir uns umso mehr, dass wir mit Manfred Trojahn als Komponisten im Porträt diese Besetzung um ein weiteres Werk ergänzen können. Die Idee der Freundschaft und die musikalische Übertragung dieser Idee des Freundes Mozart findet darin eine Auseinandersetzung aus heutiger Perspektive.


MARKUS THIEL Die Bezeichnung Konzert heißt im Ursprung auch wetteifern, streiten. Kann so etwas Freundschaften im Wege stehen?

NILS MÖNKEMEYER Freunde können sich auf der Bühne streiten. Musikalischer Streit bleibt aber ein Miteinander. Andernfalls würde das bedeuten, dass jeder nur sein Ding macht. Und das hat wiederum mit gemeinsamem Musikmachen nicht mehr viel zu tun.

WILLIAM YOUN Es gibt eine Aufnahme eines Brahms-Quintetts mit dem Amadeus Quartett und Murray Perahia. Angeblich haben sie sich menschlich gar nicht verstanden – die Interpretation ist aber herausragend ...

NILS MÖNKEMEYER Wir beide reagieren sehr unterschiedlich, wenn wir auf der Bühne unter Adrenalin stehen. Aber darüber bin ich sehr froh. Es gibt doch diese Theorie, dass man in Gefahrensituationen wegrennt, kämpft oder erstarrt. Musikalisch bedeutet zum Beispiel erstarren: Ein Fluss ist nicht mehr möglich. Wegrennen: Man eilt. Kämpfen: Man wird grob. Ich bin der Erstarrungstyp.